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Das Komplexe im Konstruierten: Der Beitrag der Chaos-Theorie für die Literaturwissenschaft am Beispiel der Erzählzyklen "Sogljadataj" (Vladimir Nabokov) und "Prepodavatel' simmetrii" (Andrej Bitov)
Abstract
Faßt man literarische Texte als fundamental komplexe Systeme auf, die je nach Distanz des Betrachters geordnete und chaotische Züge aufweisen können, ist es sinnvoll, sich eines Instrumentariums zu bedienen, das solche Systeme adäquat beschreiben kann.
Einer der jüngsten Versuche in dieser Richtung stellt die ursprünglich aus den Naturwissenschaften stammende Chaos-Theorie dar, die Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre zu sehr große Popularität gelangte. Sie umfaßt - neben einem vorwiegend systemtheoretischen Zweig - einige Darstellungsformen (Bifurkationskaskaden, Attraktoren, Fraktale Goemetrie), die sich im Anschluß an die Überlegungen der kultursemiotischen Schule Jurij Lotmans für die Beschreibung literarischer Texte eignen.
Die Arbeit bietet neben einem Einblick in die Popularitätsgeschichte, die Grundlagen, Darstellungsformen und Möglichkeiten der Chaos-Theorie auch einen praktischen Teil, in dem das neugewonnene begriffliche Instrumentarium auf konkrete literarische Texte angewendet wird, und der Chancen und Grenze dieser Begriffe aufzeigt.
Dabei wird Wert auf die Feststellung gelegt, daß die Adaptation mathematischer Begriffe und Darstellungsweisen nur der Veranschaulichung universell - aber nicht ausschließlich - wirkender Prinzipien dienen und keine mathematische Formalisierung kultureller Texte nach sich ziehen soll.
Die Auswahl der literarischen Texte orientiert sich an der Zweckmäßigkeit der Darstellung: Die als universell vermuteten Eigenschaften komplexer Systeme sollen nicht als auf einen Text, einen Autor, eine Gattung, eine Nation oder eine Epoche beschränkt erscheinen. Die Texte eines Grenzgängers zwischen den Kulturen wie Vladimir Nabokov und eines Grenzgängers zwischen den Gattungen wie Andrej Bitov bieten sich daher an.