Werner
Schroeter legt in der Darmstädter deutschen Erstaufführung von Nabokovs Traum-
und Albtraum-Groteske "Walzers Erfindung" den Zauber der Oberfläche
frei
Das
vierte und letzte seiner abendfüllenden Theaterstücke schrieb Vladimir Nabokov
1938 in Cap d'Antibes, ein Jahr, nachdem er Deutschland verlassen hatte. Im
Sommer 1939, als der Schriftsteller und Schmetterlingsliebhaber "zwischen dem
Sammeln von Tagfaltern und dem Anlocken von Nachtfaltern das Stück für die Bühne
vorbereitete", kamen ihm noch etliche Einfälle für Veränderungen, die aber erst
ein Vierteljahrhundert später in Druck gingen.
Den Autor quälte
inzwischen, 1968, der Gedanke, die Regie könnte "abscheuliche Feuertreppen,
Mülltonnen und Bühnengerüste mit Schauspielern in Arbeitsoveralls" auf die Bühne
bringen und überhaupt: Das Vorwort zur revidierten Fassung liest sich auch als
Fanal gegen den Zeitgeist, wie er sich dem fast 69-Jährigen darstellte. Sein
Stück, versicherte Nabokov, enthalte "nicht die geringste politische
,Botschaft'", was angesichts einer seltsamen Massenvernichtungswaffe und eines
Helden, der mit dieser Waffe den Weltfrieden befördern möchte, in der Tat
mancher anders verstanden haben dürfte - 1939, 1968 und 2004, als sich die Rolle
der USA als Friedensstifter mittels Übermacht immer unseliger gestaltet.
Weihnachtsbäume,
militärisch
Die Uraufführung am Pariser "Russischen Theater" hatte
seinerzeit der Kriegsbeginn verhindert. '68 erfolgte sie im "Russischen Club"
der Universität Oxford. Ob Arbeitsoveralls im Spiel waren oder ob die Uniformen
der Generäle Nabokovs Wunsch gemäß glitzerten "wie Weihnachtsbäume": Man weiß es
nicht.
Walzers Erfindung misslang jedenfalls, wie den anderen Dramen des
Lolita-Autors, der Durchbruch. Darum konnte das Staatstheater Darmstadt
die gut 65 Jahre alte Groteske, angeregt auch von Nabokovs Erfahrungen im
nationalsozialistischen Deutschland, jetzt als deutsche Erstaufführung
ankündigen. Der um Eigensinn keineswegs verlegene Werner Schroeter erfüllt
hierbei aufs Wort Nabokovs Hoffnung, dass ein Regisseur "Poesie und Pathos als
unterste Schicht dieses grellen Wahnsinnstraums" nicht übersehen möge: Schroeter
präsentiert einen poetischen, pathetischen, grellen Abend, der für sich dasteht
und darum zwar keinen
Walzers Erfindung-Boom nahe legt, aber doch die
Dramaturgen beschämt, die am Theaterautor Nabokov vorbeiblättern.
Das
Publikum erfährt sofort, dass hier einiges nicht in Ordnung ist. Hinter
Stellwänden im unsymmetrischen Relief-Design von vor 40 Jahren tut sich ein
mäßig bewegter Himmelsausschnitt auf (Bühne: Schroeter mit Alexander Schulz).
Einen solchen Ort gibt es in echt nicht, das ist klar. Nachdem zwei befrackte,
barfüßige Beaus zu Caterina Valentes Schlager
Wo meine Sonne
scheint einige Ausschnitte der dreh- und rollbaren Wänden herausboxten (wie
sonderbar), tanzen zwei ältere Herrschaften Walzer. Sie sind die Vorhut einer
wahnsinnigen, teils augenfällig beschädigten sowie regredierten Militärregierung
- Operetten-Generäle, rotwangig oder kreideweiß, ausstaffiert mit
Lametta-Epauletten (Kostüme: Susanne Thaler) und ulkigen Namen, ein Hermaphrodit
aus dem Morgenland und Mannweiber darunter. Wie es ihnen gelingt, die Geschicke
jenes noch so imaginären Staates zu lenken, ist unbegreiflich.
Die
Melancholie der Vollidioten
Über dem Kabinett der Clowns, angeführt von
Elisabeth Krejcir, dem müden, klugen Kriegsminister, Uwe Zerwer, dem versnobten
Oberst Plump, und Tim Bierbaum, dem/der mysteriösen Trance, liegt jedoch
Melancholie. Das sind Vollidioten, aber sie hören auch Musik von Richard
Strauss, und es ist andererseits liebenswert, wenn Haudegen sich lieber mit
Prahlhanselei und Poesie als mit Politik befassen (das Brandgefährliche daran
interessiert Nabokov wenig). Unheimlicher erscheint der Schmale in Schwarz,
Christian Wirmer, der sich Salvator Walzer nennt und die Welt retten
will.
Walzer ist ein Träumer - im buchstäblichen Sinne und in einer
Traumlogik, die dem Autor und dem Regisseur ungefähr alles ermöglicht. Wirmer
zeigt dabei seinen Unwillen zu erwachen, die Aggressivität des Aufsteigers aus
einfachen Verhältnissen und den unsympathischen Zorn des Heilsbringers, der dank
einer Wunderwaffe Zerstörungen allerorten anrichten kann. Das Unpoetische einer
solchen Waffe wird offenbar, die gleich zu Beginn einen Berggipfel sprengt, auf
der einst ein Zauberer wohnte (grauseligerweise befindet sich der Berg den
Explosionserscheinungen nach genau im Zuschauerraum). Walzer erfährt das durch
das Mädchen Annabella (Clarissa Hermann), die bei Schroeter eine
Lachgas-süchtige Lulu vorstellt. Tatsächlich hat es wenig mit Politik oder gar
Moral zu tun, eine Waffe unpoetisch zu finden, andererseits erzählt es eine
Menge über das 20. Jahrhundert und seine Akteure, ihre Brutalität, Anmaßung und
Hilflosigkeit.
Erst im letzten Moment folgt Schroeter dem Autor nicht
mehr. Sein Walzer, bei Nabokov hastig und läppisch über das Thema Sinnlichkeit
gestolpert, wacht nicht auf in einer ernüchterten Welt, sondern versinkt in
Albtraumtableaus. Die Oberflächlichkeit des Unterfangens ist frappierend.
Schürfte man tiefer, würde es indes womöglich dürftig. Die Oberfläche aber
strahlt einen starken Theaterzauber aus.
Staatstheater Darmstadt:
12., 14., 21.5, 19.30 Uhr, Karten-Tel. 06151/392828.