Ende der VerfЭhrung Solo fЭr Ingo HЭlsmann:
Nabokovs └Lolita⌠ am Deutschen Theater Berlin
Von
Christina Tilmann
Den groъen Einstieg gЖnnt er ihm nicht,
dieses └Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden ...⌠. Das kommt
erst spДter, da ist Ingo HЭlsmann schon Эber den spiegelnden Granitboden
gekrochen, mit offenem Mund, fast sabbernd vor Begierde beim Gedanken an
das blonde Nymphchen. Denn wenig ist von Licht die Rede oder von Liebe
und viel von Lust: Humbert Humbert, Vladimir Nabokovs pathetischer
Ritter von der traurigen Gestalt, ist in der Theaterfassung des
Deutschen Theaters brutal zurЭckgefЭhrt auf seinen Kern: ein
KinderschДnder.
Denn √ Kinder, Leute, Gentlemen von der Jury: Der
hier in einem groъen Monolog seine Verteidigung entwirft, der anfДngt
bei Adam und Eva und endet in Tod und Verwirrung, der weiъ genau, was er
tut. HЭbsch grau meliert in grauem Anzug, ist Ingo HЭlsmann als Humbert
Humbert halb! Harald Schmidt, halb Handlungsreisender: ein Zyniker,
selbstbeherrscht und berechnend in jeder Zuckung des Mundwinkels. Der
Prototyp eines unzuverlДssigen ErzДhlers.
Nur ist das mit den
unzuverlДssigen ErzДhlern auf der BЭhne so ein Problem: Man traut ihnen
nicht. Man glaubt ihnen nicht. Und je virtuoser sie agieren, herumturnen
auf StЭhlen, um EisschrДnke tigern, die AnzЭge wechseln im Handumdrehen,
desto misstrauischer werden wir. Erst recht, wenn da jemand auf der
BЭhne steht, der schon durch seine schiere PrДsenz Эberzeugend ist, der
die ganzen Reden und Volten nicht brДuchte, weil er allein durch seine
Gegenwart ЭberwДltigt.
Das ist seine SpezialitДt: Ingo HЭlsmann
ist lange schon der Held des Deutschen Theaters. Einer, der noch die
kleinste Nebenrolle zur Hauptrolle macht, zu dem Moment, in dem es still
wird im Saal, weil da jemand plЖtzlich ganz bei sich ist. Als Marinelli
in └Emilia Galotti⌠, als Mohr Aaron in └Titus Andronicus⌠, als Graf
Leicester i! n └Maria Stuart⌠ und unlДngst als Andrej in den └Drei
Schwestern⌠: Immer sind es seine Auftritte, die in Erinnerung bleiben,
weil da mit dem Heben einer Augenbraue, dem Zucken des Mundwinkels schon
alles gesagt wird. Zwei, drei Sekunden nur √ Theater pur.
Nun hat
er mit Humbert Humbert endlich wieder eine Hauptrolle bekommen √ und
gleich eine, die ihm vЖllig gegen den Strich geht. Er darf nicht sein,
was er am besten kann: einfach da sein. PrДsent. эberzeugend. Muss
stattdessen grimassieren, agieren, parodieren. Hat er das nЖtig? Er hat.
Weil er etwas beweisen will, was auf der BЭhne eine UnmЖglichkeit
scheint. Dass man anspielen kann gegen die eigene PrДsenz, dass man
bewusst nicht Эberzeugen will, wo doch эberzeugung, VerfЭhrung so leicht
wДre. Weil fЭr diesen Menschen, der das Leben eines Kindes zerstЖrt,
jede EinfЭhlung zu viel wДre. Es gibt kein VerstДndnis fЭr Humbert
Humbert. Und erst recht kein Mitleid.
Oliver Reese,
Chef-Dramaturg des Deutschen Theate! rs, der vor Jahren schon am
Gorki-Theater DЖblins └Berlin Alexanderplatz⌠ erfolgreich fЭr die BЭhne
zusammengestrichen hat, hat in seiner ersten Regie am DT auch Nabokovs
legendДren Skandal-Roman konsequent entschlackt. Entfallen alle Stellen,
in denen Humbert Humbert sympathisch wДre. Entfallen die perfide
Vermutung des Romans, dass es die zwЖlfjДhrige Lolita ist, die diesen
Mitvierziger verfЭhrt und ihr Schicksal selbst verschuldet. Das, was
Nabokovs Roman von 1955 √ und Stanley Kubricks Film von 1962 √ noch
heute skandalЖs macht: Nicht, dass da jemand ein zwЖlfjДhriges MДdchen
monatelang in Geiselhaft hДlt, verfЭhrt und missbraucht, sondern, dass
so jemand eine tragische Figur sein kann, ist in der Strichfassung
weggefallen. Der Berliner Humbert ist ein Kollege von Dutroux und Co.
Und er bekommt, was er verdient.
Und doch: nicht ganz. Lange,
lange hat man diesem zynischen Unsympath zugesehen. Hat gehЖrt, wie er
kaltherzig berichtet von Missbrauch und Vergewaltigung! .. Hat ihm nicht
geglaubt. Und hat das Urteil gefДllt, das von vornherein feststand:
schuldig.
Und dann kommt sie doch noch, die ErlЖsung. Fast zu
spДt, am Ende, als schon lДngst alle unschuldige Milch verschЭttet ist,
bricht er dann doch noch zusammen, der эberzeugungstДter, ein Showdown
im Regen. Und erkennt, was er getan hat. Zeigt Reue, Verzweiflung,
Angst. Lolitas Leben ist mit 17 Jahren schon am Ende. Er wЭnscht ihr,
dass ihr Kind ein Junge werde √ weil er ihm das Lolita-Schicksal
ersparen mЖchte. Vor dem eigenen kann ihn keiner retten. Und man glaubt
ihm, dass er es weiъ.
эbrigens: Lolita tritt nicht auf an diesem
Abend.
Wieder am 20., 21. und 31. 3., 20 Uhr.
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